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letzten freitag, am ende des unterrichts, als alle anderen des kurses schon gegangen waren, erzählte plötzlich die sehr kleine frau aus der letzten reihe, die zu etwas besonderen zwischenfragen neigt, von ihrer schlechten nacht und den nachrichten, die sie nicht ruhen ließen. weil die taliban ihre heimatstadt herat eingenommen hatten und sie berichte ihrer umgehend begonnenen herrschaft gesehen hatte, die schulen für mädchen geschlossen, die familien müssen ihre unverheirateten töchter ab 14j übergeben und mindestens einen sohn als zukünftigen soldaten. sie selbst war 2007 mit 14 in herat von einem imam entführt und zu seiner frau gemacht worden, neben drei anderen gleichaltrigen. zwei kinder bekam sie von ihm, 10 jahre lebte sie in der hölle, wie sie sagte. sie zeigte mir fotos von sich mit 14, eins aus guten tagen, eines im hochzeitskleid, und eines einige jahre später – 2016 konnte sie mit ihren beiden kindern fliehen, sechs monate zu fuß, sie wog 33kg als sie in deutschland ankamwir hatten beide tränen in den augen, als sie dies und noch mehr erzählte

sie konnte und kann vor allem deshalb so schlecht schlafen, weil sie an die vielen frauen und mädchen denken muss, die nicht die kraft und das enorme glück hatten fliehen zu können, die wissen was sie durchlebt haben und erneut durchleben werden müssen. sie selbst hat polizeigewalt auf ihrer flucht erfahren, ihre kinder mussten mitansehen, wie ihre mutter auf polizeistationen misshandelt wurde. und sie erzählte davon welches glück sie hat, sich seit vier jahren hier ein neues leben aufbauen zu können. – – – und dann

muss man laschets widerwärtige antiflüchtlingsstatements lesen und die vollkommen unbegründete erwartung, die heutigen taliban seien irgendwie gemäßigt, so wie patriarchale menschenverachtung, religiöser fundamentalismus, misogynie etc irgendwie gemäßigt ja doch schon erträglich ist, mit dem man sich arrangieren kann, so wie sonst halt auch immer.

nachtrag gestern: inzwischen sind alle kursteilnehmerinnen in heller aufregung und schicken mails an die deutschen behörden, in der hoffnung, dass angehörige irgendwie mit auf den listen landen, die zur visaerteilung berechtigen. ich traue mich nicht ihnen zu sagen, dass ich ihre hoffnung leider gar nicht teile…. fast alle können ihre angehörigen nicht mehr erreichen, das internet ist überlastet oder abgeschaltet, ebenso strom zum aufladen der telefone, es ist ein wirklich unvorstellbares chaos und sehr viel angst. als mir vor jahren in den sprachkursen ab 2015, in denen auch viele afghanen waren, diese und ebenso die geflüchteten aus syrien ihre geschichten berichteten, zt schusswunden zeigten, hatten alle die gewissheit, dass es trotz allem nur besser werden wird, auch wenn immer wieder abschiedebescheide eintrafen – wir haben sofort erfahrene anwälte kontaktiert und waren sicher, dass diese erfolgreich einspruch einlegen werden. was aus den von abschiebung bedrohten menschen blickte, war pure angst, ihr geburtsland wiedersehen zu müssen (bzw den dort erlebten horror). diese angst hat nun alle ergriffen, und ich weiß dass in nicht allzu fernen tagen traurige nachrichten über angehörige eintreffen werden. da darf ich jetzt eigentlich noch gar nicht drüber nachdenken.