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der besuch eines friedhofes bedeutet die vergegenwärtigung mit einer gesellschaft so wie sie sich erinnert sehen möchte der wunsch die projektion der erinnerung verändert sich im laufe der jahrzehnte und jahrhunderte friedhöfe sind realistische orte ihr realismus entsteht aus der herkunft des im grab sichtbar gebliebenen rituals als zeitdokument und der veränderung dieser sichtbarkeit durch die jahrzehnte und ggf jahrhunderte

bei jüdischen friedhöfen in deutschland erweitert sich der realismus um die dimension des unwahrscheinlichen der holocaust war nicht gründlich trotz aller deutscher bürokratischer exaktheit der vernichtung die anwesenheit eines oder mehrerer jüdischer friedhöfe in deutschland bezeugt das mehrfache scheitern der nationalsozialisten und nichts könnte beruhigender sein

der besuch eines jüdischen friedhofes in hamburg ist eine multidimensionale begegnung

es ist die begegnung mit jüdischer geschichte die selbst multidimensional ist und sich in unterschiedlichen ritualen ausdrückt die unterscheidung von sephardischen und ashkenasischen gräbern wird deutlich betont und erklärt der normale deutsche bürger hat keine vorstellung von jüdischen begräbnisritualen

es ist die anwesenheit von gräbern die unwahrscheinlich sind aufgrund des sterbedatums der toten 1939 waren jüdische begräbnisse möglich?

es ist die anwesenheit des friedhofes als solchem die nazis haben alles jüdisches leben so gut sie konnten vernichtet aber ihre erinnerungsorte übersehen?

es ist die lage des friedhofes in direkter nachbarschaft zum berühmten ohlsdorfer friedhof als größtem friedhof europas aber doch sind sie getrennt durch eine straße und separiert während der ohlsdorfer friedhof mit seinem eingang protzt und stolz busse über sein gelände fahre lässt ist der jüdische friedhof nicht einmal ausgeschildert und die meisten gräber ruhen in einem wald wie im versteck

es ist die veränderung der gräber selbst denn während aus dem 19 jhd und der jhdwende viele grabsteine existieren gibt es für die jahre zwischen 1940 (nach dem jüdischen kalender 5700) und 1990 (5750) nur noch sehr wenige – jüdisches sterben ist deutsche geschichte — und die mehrzahl der jüngeren grabsteine ist mit kiryllischen worten gezeichnet es sind die gestorbenen der sog kontingentflüchtlinge die hier beerdigt sind aus der ehemaligen sowjetunion mehrheitlich ukraine die hier gestorben sind in frieden nirgends findet man mehr zeugnisse über die veränderten gesellschaften als auf den grabsteinen

die minderheiten geben ein realistisches bild über die gesellschaft

jüdisches sterben in deutschland erzählt extrem viel über dieses land

und dann gibt es noch google lens eine futuristisch klingende technik die es möglich macht die in einem bild enthaltenen informationen auszulesen also was ist das für eine blume was kostet diese hose und was steht da mit den inschriften jüdischer grabsteine vor dem 20. jhd ist diese artificial intelligence aber völlig überfordert und spuckt nonsense aus ASHRIF, DER FALL DER INDIANER! steht ganz sicher nicht auf dem grabstein

es ist ein weiterer grabstein im jüdischen leben dass die übersetzungsfunktion für die transformierung alter hebräischer religiöser grabtexte – vermutlich alttestamentarisch oder aus dem talmud – ins deutsche nur nonsense anbieten kann da heute wohl nichts unwahrscheinlicher scheint als alte hebräische texte ins deutsche zu übersetzen