tage im spätsommer

am 200. tag des russischen angriffskrieges hat die ukrainische verteidigung bei ihrer die russische armee offenkundig unvorbereitet getroffenen gegenoffensive strategische und moralische gewinne zu feiern. die rückeroberungen in der region um charkiv binnen weniger stunden, balakliia kupiansk izium, hat auch in russland selbst zu verwunderung enttäuschung und verärgerung geführt, dass sich der hastige truppenrückzug auch kaum noch als strategisch beabsichtigt umdeuten lässt. es ist auch in russland augenscheinlich, dass dieser krieg immer stärker auf russland zurückfällt, inzwischen wird offen von abgeordneten eines moskauer stadtbezirks die abdankung putins bzw in st.petersburg die anklage wegen hochverrats gefordert. die putindämmerung könnte schneller zum kollaps des systems führen als sich manche das derzeit vorstellen können, vllt so schnell wie die entwicklung in großbritannien, wo zu wochenbeginn premierminister boris johnson unter queen elizabeth II. das parlament führte und am ende der woche premierministerin liz truss unter könig charles III. – dazwischen lag der tod elizabeths II. und damit das ende der längsten regentschaft einer britischen monarchin. dass sich putin zum regierungschef mit der längsten amtszeit seit dem ende des russischen zarenreiches aufschwingen wird, ist indes mehr als fraglich.

das russische imperium hat seinen bürgern offenkundig nicht mehr viel anzubieten und die eroberung der ukraine erweist sich als undurchführbar, wie lange das scheitern des putinismus sich hinziehen wird, ist vollkommen unbekannt. die gegensätzlichkeit der imperien russland und großbritannien war in den vergangenen septembertagen unübersehbar, insbesondere im umgang mit ihren toten. putins als sachlichkeit inszenierte verachtung des verstorbenen vorvorgängers könnte nicht ferner von den kondolenzen sein, mit denen das britische empire dem tod der queen gedachte. gorbatschows begräbnis fand in einer unterkühlten atmosphäre und in abwesenheit beinah aller regierungschefs der welt statt, die bürger moskaus nutzten indes die möglichkeit, sich vom modernsten und weitsichtigsten staatschef zu verabschieden, den das land hatte und dessen demokratische hoffnungen sich für russland aufgrund innenpolitischer fehler und westlicher verblendung nicht erfüllten; die verabschiedung nutzten die bürger vorrangig als erlaubnis zu kritik an der gegenwärtigen führung ihres landes, die inzwischen jeden kontakt mit ihren bürgern meidet. ein grund übrigens auch für die weiterhin verdeckte rekrutierung von soldaten im gegensatz zu einer generellen mobilmachung, denn es ist nicht abzuschätzen, wie stark die innerrussischen proteste gegen einen solchen schritt wären, jetzt noch mehr als vor wenigen wochen, als russland für immer in cherson bleiben und deren bewohne darüber „abstimmen“ lassen wollte, doch auch davon ist derzeit keine rede mehr. die agonie des imperiums ist augenfällig – und wird unübersehbar im kontrast zur sich in allen todeszeremonien höchst lebendig zeigenden und wenigstens bei der englischen bevölkerung beliebten britischen monarchie. mag die politische und wirtschaftliche situation des landes nach dem brexit noch so verfahren und problematisch sein, die monarchie und das empire scheinen stabil, trotz aller skandale, schwieriger familienverhältnisse, ablösungsbestrebungen aus dem commonwealth und kolonialer vergangenheit.

ein drittes imago imperialer herrschaft findet sich derzeit beinah deckungsgleich in den beiden streaming-serien die ringe der macht und house of the dragon, die royale herrschaft umfassend und unironisch bis zum kitsch in idealen bildern darstellen. in ihrer wenig fundierten auseinandersetzung um die thematik möglichst idealer herrschaft greifen beide serien auf die vorgeschichten der jeweiligen originale zurück, denn in den vorgeschichten lässt sich das gegenwärtige noch vorbehaltloser und fantasy-hafter verdrängen, allen behaupteten ambivalenzen zum trotz, die gegenwart scheint gelegentlich im vorigen zeitalter angekommen zu sein. die ideale autoritäre herrschaft war und ist der zentrale themenkern beider buchvorlagen und visuellen umsetzungen game of thrones und, mit finster ideologischer schwarz-weiß-zeichnung, ebenso im herr der ringe: der ideale herrscher aragorn vs dessen pervertierter inkarnation sauron bzw die besonnen-demütige stark-dynastie vs die zu arroganz und roheit neigenden lannister und targaryans stehen sich jeweils gegenüber und beanspruchen die ungeteilte macht, je anders interpretiert. es ist dabei kein zufall, dass die wirtschaftlichen grundlagen der feudalstaaten weitgehend ausgespart bleiben, die idealen herrscher verfügen über ein unerklärtes doch funktionierendes ökonomisches system, das – so suggerieren es die erzählungen und bilder – im einklang mit bevölkerung und umwelt steht. rücksichtslose ausbeutung im stile des raubtierkapitalismus ist ins reich der schurken verlegt, die umwandlung einer waldlandschaft in ein glühendes bergwerk rings um sarumans turm ist dafür das deutlichste bild. dass monarchien ihre macht meist auf ökonomische verschwendung gründeten, spielt für das kino und streaming-tv keine rolle, auch die wirkungsweise des kapitalismus im hintergrund durch filmstudios und streamingplattformen wird vor der fantasykulisse weitgehend zum verschwinden gebracht. dieses verschwinden des ökonomischen bzw demonstrative ausstellen pervertierter wirtschaft hat den erfreulichen nebeneffekt, dass so die wirtschafts- und weltordnung geradezu naturalisiert wird, zum selbstverständlichen und natürlichen zustand der gesellschaft: die ideale absolutistische herrschaft ist ebenso mythos wie es ihr erscheinungsbild ist. in den aktuellen spin-off-serien sehen die handelnden figuren ihrer jeweiligen zeitalter den originalen daher zum verwechseln ähnlich und wiederholen mehr oder weniger unterhaltsam die bekannten geschichten, die eigentlichen geschichten sind zweitrangig, zentral sind die einflechtungen von verweisen auf die filmischen vorlagen: jedes spin-off bestätigt die autorität des originals, ganz wie beim star-wars-franchise bilden sich so mithilfe eines bereitwilligen publikums filmische dynastien heraus, je um eine (film-)serie wie um eine familie mit einem unumstößlichen hegemon, dem original. die verhandlung von herrschaft und macht findet so in unseren bildwelten wesentlich über dynastien, clans und monarchien statt, deren zentrum die familie bildet, seien es die erzählten geschichten oder die erzählungen selbst mit ihren ablegerserien, fanfiction und unendlichem merchandise. auf identische weise gilt dies auch für die comic-cinema-universen marvel und, im teuren umbruch befindlich, dc, und auch gilt es für alles um harry potter, dessen familienbanden und kino- und theater-spin-offs: man ist eine familie und unter sich, als fan kennt man sich aus und findet easter eggs und weiß um kleinste nebencharaktere. alles ist eine familie: sei es die solidarisch gute von harry und seinen freunden oder die disfunktional böse von voldemort, in beiden wird auf loyalität gesetzt und desertieren vehement sanktioniert, gezeigt etwa an der figur sirius black, der von seiner cousine getötet wird. es ist stets die familie, in den bildwelten zumeist manichäisch simplifiziert, es gibt die moralisch legitimierte und die mafiös illegitime, zwischen beiden wird die herrschaft verhandelt, so wie zwischen den cinematic universes und franchises die herrschaft auf monetärer erfolgsebene verhandelt wird – doch zu keinem zeitpunkt stellen diese filme und serien die frage einer herrschaftsform abseits der konzentration aller macht in den händen eines einzelnen oder einiger weniger. im star wars franchise spielt die republik der phasen 1-3 nur die rolle eines zögerlichen und manipulierbaren parlamentssaales, filmische legitimation und mythische dimension eines möglicherweise natürlichen zustands erlangt sie so zu keinem zeitpunkt.

die begeisterung der medien für alle royals weltweit und nicht zuletzt des zaren-darstellers putin und seiner maskulin-pompösen inszenierungen von mächtigkeit und hofstaatlichkeit, man denke nur an das applaudierende spalier der gewählten abgeordneten zu jeder putinschen inauguration, das vormoderne adlige höfischkeit kaum noch deutlicher zitieren kann, diese faszination des monarchischen findet sich identisch in den bildwelten des fantasy-genres und der star wars operette wieder, weshalb sich eine frage durchaus stellt: ob die weltweite sehnsucht nach autoritärer herrschaft nicht schon seit jahrzehnten in unseren weltweiten filmischen traumwelten abzulesen war, vllt. so haben wir aktuell drei formen der autoritären herrschaft: die ideelle im streaming-tv, die lebendige in england und die zynisch-simulierende in russland.

autoritäre herrschaft hat in den vergangenen jahrzehnten auf allen kontinenten an akzeptanz gewonnen und insbesondere demokratisch verfasste staaten stehen unter autoritärem druck oder bringen sich selbst in gefährliche lagen. ein positives bild vom königshaus vor dem beschädigten parlamentarismus kann das verfestigen und zudem auch eine scheinbar natürliche standesordnung als ökonomische tatsache bestätigen. es bleibt die aufgrund des aktuellen zurückweichens der russischen armee in der ukraine nicht unbegründete hoffnung, dass die aggressive autoritäre herrschaft der russischen regierung sich ihrem ende zuneigt und nachfolgend, womöglich gar, raum schafft für eine wirklich grundlegende änderung des staatlichen agierens weg von einer demonstration der stärke hin zu einer diplomatischen und nachhaltigen staatlichkeit, die für sich die möglichkeiten von soft power entdeckt und endlich ihre sowjetische vergangenheit aufarbeitet, ebenso den putinismus, sich von den überkommenen institutionen verabschiedet und den weg in ein wirklich gemeinsames europa sucht, wie es der oppositionelle politiker vladimir kara-murza im eingangs verlinkten zeit-artikel formuliert:

An dem Tag, an dem wir beginnen, ein demokratisches Russland auf den Ruinen von Wladimir Putins Herrschaft zu errichten, müssen beide Seiten wissen, was sie zu tun haben: Wir Russen brauchen einen moralischen Neustart. Und der Westen wird uns jede erdenkliche Hilfe leisten müssen, und zwar in den Dimensionen eines Marshall-Plans. Wir brauchen die volle Einbindung in die zivilisierte Welt – zu der wir immer noch gehören. Russland ist nach wie vor das größte Land Europas. Deswegen kann der Traum eines Gesamteuropas, das vereint, frei und in Frieden lebt, nur mit Russland wahr werden. Ich glaube immer noch daran, trotz allem.

allerdings wird sich das russland ohne putinismus hinten anstellen müssen, da der ukrainische präsident von russland 300 millionen dollar an reparationen gefordert hat und der westen den ukrainischen wiederaufbau als das bedeutend wichtigere ziel ansieht.