über verblendung

die petition mit dem titel „manifest für den frieden“ von sarah wagenknecht und alice schwarzer hat in den vergangenen tagen jede menge reaktionen hervorgerufen, kommentare zu den unterstützer*innen und erstunterzeichner*innen, sehr viel kritik und ebenso zuspruch erfahren, ersteres von persönlichkeiten mit kenntnis und wissenschaftlicher expertise, letzteres von allgemein bekannten personen der deutschen öffentlichkeit und erwartbaren unterstützern: der allgemein verständliche und neutral wirkende ruf nach frieden und verhandlungen lässt offenbar das deutsche herz höher schlagen, irgendwas vorgeben zu tun, um das sterben zu beenden, denn so eine versöhnliche haltung kann doch gar nicht naiv oder gar falsch, zynisch und verlogen sein, oder? hehe, natürlich kann sie das, und das mit einem so herzlichen lachen und großer geste, dass es eine freude ist.

es gibt hervorragende analysen des manifests, aus denen die verdrehungen und auslassungen, falschen beschuldigungen und unterstellungen des petitionstextes klar hervorgehen, es gibt ausführliche kritik über die herablassende bevormundung der ukraine durch die petition, und kritische betrachtungen zu den zentralen leerstellen des textes in diversen print- und online-medien, zusätzlich talkshows, in denen die haltung als grundsätzlich falsch in seiner annahme benannt wird, dass nämlich die eskalation des krieges ( gemeint ist der russische angriff auf weitere staaten oder gar ein atomwaffeneinsatz ) irgendwie von deutschland oder „dem westen“ aus verhindert werden könne, dass man vom westen aus verhandlungen initiieren könnte um „den konflikt“ zu beruhigen, ja dass putin und die russische regierung und mediale öffentlichkeit überhaupt irgendein interesse an verhandlungen und am ende des tötens zum aktuellen zeitpunkt habe. es ist erschreckend mitansehen zu müssen, wie bewusst verblendet die initiatorinnen und sämtliche unterzeichner*innen hier der ukraine und dem westen die eskalation vorwerfen und fehlenden friedenswillen ja kriegseuphorie unterstellen – ganz bewusst sämtliche russischen vorgehensweisen und verbrechen seit 2014, sämtliche verlogenen verhandlungstaktiken zum donbass und vor dem überfall auf die ukraine im vergangenen februar und vollständig alle innerrussischen entwicklungen seither inkl. aller verfügbaren fundstücke von der front, zeitungs– und tv-mitschnitte führender propagandist*innen ausblenden und ignorieren: dass russlands kriegsziel die vollständige zerstörung der ukraine als staat und kulturraum ist. die behauptung einer kriegseskalation durch die einfach immer weiter kämpfende ukraine und den diese unterstützenden westen ist eines der zentralen motive, von frau schwarzer und anderen gern als „stellvertreterkrieg“ bezeichnet, auf dem sich die vermeintliche friedensforderung gründet. doch dieses groteske märchen war schon im vergangenen jahr nicht richtig und die permanente wiederholung dieses motivs, das insbesondere frau wagenknecht wieder und wieder in sämtliche erreichbaren medien ruft, um sich gegen waffenlieferung an die ukraine zu positionieren, hat sich seither nicht als in irgendeiner weise gerechtfertigt herausgestellt sondern stets nur als pro-russische anti-westliche propaganda im stile des kalten krieges. im gegenteil sind aufgrund der waffenlieferungen der ukrainischen armee bedeutende erfolge gegen die okkupanten gelungen und der krieg seit dem winter und auch trotz einer anhaltenden und extrem verlustreichen offensive der russischen angreifer ohne wesentliche frontentwicklungen geblieben. doch die haltung der manifest-verfasserinnen und der unterstützer*innen, von gregor gysi bis zu tino chrupalla, speist sich wesentlich nach wie vor aus einer kalter-kriegs-logik, derzufolge vorrangig der westen ( also die usa ) für so ziemlich alle kriege verantwortlich ist und für diesen ganz besonders, also der opferthese russlands, gern vorgetragen von gabriele krone-schmalz und ulrike guérot, und einer reihe kolonialer denkmuster, die denen des russischen imperialismus durchaus gleichen. im besten falle naiv ist diese friedensforderung jedochtatsächlich, wenn nicht sogar gefährlich und zynisch, da selbst ein sofortiger stop der kampfhandlungen das sterben nicht verhinderte: in sämtlichen von russland besetzten gebieten sind folter, tod und verschleppung an der tagesordnung, friedensverhandlungen belohnten zudem diese annexionen, die russland inzwischen als sein eigenes staatsgebiet betrachtet, denn keine verhandlungen der welt werden das ergebnis haben, dass russland territorium wieder abgibt, keine krim, keine ostukraine oder sonstige gebiete – im gegenteil führten derartige verhandlungen zum aktuellen zeitpunkt zu noch weiteren aggressionen russlands gegenüber andere staaten: moldavien und georgien sind aktuell schauplätze möglicher umstürze und prorussischer entwicklungen, nicht zu vergessen kasachstan. diese staaten, die über teilbesetzungen der gebiete transnistrien und südossetien seit jahrzehnten gewaltsam an russland gebunden sind, zählen nach russisch-imperialer lesart ebenso wie die zentralasiatoschen staaten zum einflussgebiet der russischen welt, der russkiy mir, einer imperialen doktrin zur hegemonie des russischen in den gebieten, die russland als seine natürliche einflusssphäre definiert. demokratische oder wenigstens pro-europäische entwicklungen lässt dieses imperiale streben nicht zu, und mit dem überfall auf die ukraine ist die doktrin maximale realität geworden. dieses nicht sehen zu wollen, ja es vielmehr aktiv auszublenden und dem westen die aktive verhinderung von friedensverhandlungen vorzuwerfen, jüngst anhand des hochgradig ungereimten investigativberichts des längst nicht mehr seriösen seymour hersh oder anhand von aussagen des vermeintlichen kronzeugen naftali bennet, obwohl dieser die aussagen als nicht zutreffend revidiert hat – dieses aktive ignorieren jahrelanger russischer aggressiver destabilisierungs- und expansionsbestrebungen zeugt von einer massiven wissentlichen ideologischen verblendung: aus ( längst nicht allein ) deutscher sicht KANN russland gar nicht so gefährlich nationalistisch handeln wie es der westen behauptet, das ist einfach nicht möglich, das wäre ja wahnsinn – und diplomatie hoffnungslos verloren. oder? ODER?

dass es nach wie vor sehr vielen menschen, politikern und sogenannten intellektuellen, künstlern und personen des öffentlichen lebens gelingt, diese realität nicht wahrzunehmen, sich stattdessen auf eine vllt kleingeistig-naive, mindestens propagandistische, äußerst uninformierte und hochgefährliche position einzulassen, nämlich der den russischen krieg stützenden forderung nach frieden, vorgetragen von einer propagandistin der russischen sicht, ist mir absolut nicht mehr begreifbar, auch wenn man dankenswerterweise die motive der die petition unterzeichnenden personen anhand ihrer kommentare untersucht: das insbesondere deutsche festhalten, selbst mithilfe ehemaliger wehrmachtssoldaten, an der bevormundung der ukraine, an der russischen erzählung der illegalen nato-erweiterung und reinen verteidigungshaltung, an der angst und kapitulation vor der atombombe, zeugt von einer absurden welt- bzw realitätsfremdheit und bewussten verblendung, die mich einigermaßen fassungslos zurücklässt. niemand in der gesamten EU spricht sich freudestrahlend für einen krieg mit russland aus, niemand hierzulande trägt irgendeine form von begeisterung für den krieg in die debatte, es geht einzig und allein um das völkerrechtlich verbriefte recht sich gegen eine militärische aggression zur wehr zu setzen um das eigene überleben zu sichern und die staatlich-territoriale integrität wiederherzustellen – dies ist das erklärte ziel des ukrainischen präsidenten selenskiy, und nicht, wie es der manifest-text suggeriert, russland „auf ganzer linie zu besiegen“, denn die ukraine könne ja ohnehin keinen krieg gegen die atommacht russland gewinnen. es ist zum verzweifeln, wie verlogen diese petition kompromisse „von beiden seiten“ einfordert, als wäre die souveränität der ukraine eben nur einer von vielen möglichen verhandlungspunkte. und es ist entsetzlich, wie erfolgreich diese inhumane, das völkerrecht missachtende, selbstgerechte petition ist, aus reinem kalkül.